Text Vegetationszonen

Belinda Grace Gardner
VEGETATIOSZONEN

im Katalog VEGETATION
CARMEN OBERST ART LEXIKON 3

Im Zeitraffer vollzieht sich die Transformation der Erde vom grauen, wüsten Planeten zu einer bunten weltumspannenden Landschaft topografischer Vielfalt. Von tropischer Hitze bis zu polarer Kälte, vom wildwuchernden Dschungel bis zur Abwesenheit pflanzlichen Wachstums im ewigen Eis: Dazwischen liegen die gemäßigten Terrains des Globus, die im Farbsystem klimatischer Weltkartierung als abgestufte Palette von Grüntönen in Erscheinung treten. Die wissenschaftliche Einteilung der Erde in Klimagebiete, die in Bändern um die Weltkugel verlaufen, ist Ausgangspunkt für Gabriele Adeys digitale Grafikanimation „Vegetationszonen“ von 2004. In ihrer siebenminütigen Videoarbeit (Musikdesign: Milo Lohse) übersetzt die Künstlerin die Typisierungen und Stilisierungen der schematischen Bildsprache geografischer Atlanten in eine ästhetische Dramaturgie von Farben und Formen, die eine zugleich abstrakte und sinnbildliche Geschichte vom Werden und Vergehen, von der organischen Dynamik entstehender und sich ausbreitender Natur und den zerstörerischen Mechanismen menschlicher Kultivierung der Erde in konzentrierter Fassung vor Augen führen. Unterfüttert von Auszügen aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, konstellieren sich Farbfelder und –streifen in den Umrissen des Globus zu einer stringent-vitalen Repräsentation vegetativer Fülle: „Die Erde ließ Gras und Kraut aufgehen und Bäume, die herrliche Früchte trugen…“ Im weiteren Verlauf multiplizieren sich die farbigen Strukturen des Wachstums in horizontaler und vertikaler Bewegung. Die Patterns öffnen sich wie Vorhänge einer unendlichen Bühne: Dahinter offenbart sich immer wieder ein neuer Horizont, eine neue virtuelle Zellteilung im wechselhaften Spiel der Farbfelder. Zusehends verdichtet sich das Geschehen, mutieren die flachen Geometrien zu Farbräumen, die fortschreitend komplexer, verschachtelter werden. Hier nun schlägt die natürliche Ordnung der „Vegetationszonen“ um in die vom Menschen vorangetriebenen künstlichen Ordnungen: die Zersiedlungen und Zergliederungen der Welt zwecks Nutzbarmachung der Natur, die das ökologische Gleichgewicht der Welt drohen, aus den Angeln zu heben. Am Ende versinkt in Gabriele Adeys Kreislauf der Bilder die Erde wieder in indifferentes Grau – eine warnende Perspektive auf die Auswirkungen einer zerstörerischen und endgültigen Umwandlung der lebendigen Naturzonen in brachliegende Kulturräume.

Belinda Grace Gardner, Hamburg, 2005