Text PI

Belinda Grace Gardner
PI – SO RUND WIE DER HIMMEL


im Katalog SCHEIBE
CARMEN OBERST ART LEXIKON 1

“So rund wie der Himmel“ sind die Pi-Scheiben, die im alten China zunächst wohl rituelle Bedeutung hatten: geheimnisvolle flache Kreise mit runden Öffnungen in der Mitte. Über die Jahrhunderte hinweg dienten sie nicht nur zur Verehrung von Göttern und Ahnen, sondern auch als Schmuck und Währung, als Grabbeigaben und Machtsymbol. Als Kreis gedacht, hat die mythischen Potential verloren. Im Zirkel, dem sie Gestalt gibt, manifestiert sich die ewige Wiederkehr: das Werden und Vergehen allen Lebens.

Jene Pi-Scheiben, die den gewölbten Himmel beschwören, haben Gabriele Adey bei der Konstruktion ihrer geometrisch-reduzierten Scheibenformen inspiriert. Wie bereits bei früheren Serien, spielt die Künstlerin Variationen einer zuvor festgelegten Konstante durch. ,,Der Gegenstand ändert sich nicht, nur die Sichtweise.“ sagt sie.

Die strengen, mit Hilfe des Computers exakt umrissenen, schwarzen Scheibenmotive changieren – ein durchgängiger Ansatz Gabriele Adeys – zwischen „maschineller“ Kühle und magischer Vieldeutigkeit. Sie zerschneidet die Scheiben, löst Ausschnitte heraus oder spart – wie bei den traditionellen Pi-Scheiben – ein kreisförmiges Loch in der Mitte aus. Die ursprüngliche Form bleibt als reale oder vom Betrachter ergänzbare Kontur bestehen. In ihrer extremen Kargheit setzen die verschiedenen Gesichter des einen Gegenstands unterschiedliche Assoziationen frei.

Eine Scheibe kann zum Fenster werden, durch die man weite Ausblicke hat: ebenso rund wie der Himmel.

Belinda Grace Gardner, Hamburg, 2002