Text Deutschlandreise

Hajo Schiff
Deutschlandreise

im Katalog FREMDE HEIMAT
CARMEN OBERST EDITION ART LEXIKON 4

Mehr als andere stehen die Deutschen ihrem Land seltsam distanziert gegenüber. Um neue Identifikation zu stiften, werden sogar teure Werbekampagnen initiiert. Von Altötting bis Zwickau scheint nicht nur den Künstlern die Heimat fremd geworden. Wo sind sie hin die alten Bindungen?

Wer kennt überhaupt noch das Land, dessen Ausweis er bei sich hat? Die Welt meinen wir schon zu kennen, Heimat aber scheint ungreifbar. Man müsste eine heimatkundliche Rundreise machen. Aber eine nach einem strengen Prinzip, das den Reisenden von seinen Lieblingswegen abbringt und ihm Neuland erschließt: Für eine Künstlerin,die viel mit geometrischen Formen arbeitet, böte sich da eine präzise Kreislinie an, die beispielsweise die biographisch wichtigen Orte Solingen und Hamburg miteinander und mit andern verbindet. Doch würde es sich lohnen, eine solche, technisch aufwendige Reise in der Realität durchzuführen? Bekäme man nicht wieder nur beliebige Bilder, schöne Oberflächen, die die tiefe Fremdheit bloß verdecken? Wenn sich die Realität so entzieht, scheint es angemessener, dem Heimatbild in einer medialen Ausprägung nachzuspüren.

Gabriele Adey entschied sich für eine virtuelle Rundreise durch dieses unser schönes Land. Sie sammelte, was sich von den Orten am leichtesten im Netz verfängt: Architekturfotos, mit denen deutsche Städte im Web auf sich aufmerksam machen. Kirchen, Schlösser und Rathäuser, aber auch Museumsneubauten, Einkaufszentren und Fernsehtürme dienen den Städten als wohlfeile Signets – doch tatsächlich bestimmen meist neben kleinen Traditionsinseln uniforme Kaufparadiese, Parkhäuser und Betonüberführungen das Stadtbild, kaum unterscheidbar von dem des Nachbarortes. Die im Netz gefundenen Bilder mögen einen gewissen Wert für die Wiedererkennbarkeit haben, um ihren Wert als Erkenntnismittel istes eher düster bestellt. Für Gabriele Adey war ihre Bestandsaufnahme Deutschlands eine Reise ins Dunkle der Unmöglichkeit, sich über demonstrative Symbole fremden Orten anzunähern: Ihre kleinformatigen Städtebilder sind perspektivlose Datensets geworden, unscharfe nächtliche Schatten. Es ist wie ein beiläufiger Blick aus dem Fenster eines Schlafwagens, der Gemächlich durch Städte zuckelt, die man gar nicht zu passieren glaubte und die einen ohnehin nicht interessieren. Wenn die Bilder nichts mehr sagen können, muss man sich den Abstraktionen zuwenden.

Hajo Schiff, Hamburg, 2006