Text Stadtspaziergänge

Gabriele Adey
Rede zur Ausstellungseröffnung STADTSPAZIERGÄNGE
Photo.Kunst.Raum. Hamburg, 04.10.2021

Ende 2019 wurde das Thema „Landschaften / Neuland“ im Photo.Kunst.Raum. von Carmen Oberst als Jahresprojekt angeboten und ich fand es für mich inspirierend aber auch vielseitig interpretierbar.
Zunächst entstanden Handyfotos, sozusagen von „unterwegs gemacht“ : Ausblicke aus dem Auto oder in den Himmel, dunkle Wälder oder der weite Strand von Amrum.
Im aktuellen Art Lexikon 19 von Carmen Oberst zum Thema „Landschaften / Neuland“ hat Klaus Schlabbach auf Seite 88/90 einen interessanten Beitrag über die Frage „Warum ist Landschaft schön?“ geschrieben – daraus schließe ich: Diese Frage ist und bleibt ein Klassiker !

Im ersten Corona-Jahr, während des ersten kompletten Lockdowns, veränderte sich mit einem Schlag meine Perspektive auf das Thema „Landschaften“: Es verkleinerte sich schlagartig der persönliche Bewegungsradius und die Stimmung trübte sich allgemein ein. Wir durften uns nur noch im näheren Umkreis von Hamburg bewegen – zu Fuß oder mit dem Fahrrad: Laufen und Fotografieren wurde zu meinem neuen Sport erklärt.

Mit Hilfe einer Wander-App lernten mein Mann und ich überraschend ungewohnte Routen durch Hamburg kennen, entdeckten die neuen Wohnbezirke von Hamburg, schicke Architektur, aber auch die sozialen Brennpunkte mit öden Plätze und der alles überziehenden Graffitis. Viel Freude machte es, in unseren ehemaligen Wohnbezirken noch intakte Hinterhöfe wiederzuentdecken, sogar verblasste Wandmalereien aus den 70ern oder uralte Klingeltableaus.

Mit dem Handy versuchte ich all dies festzuhalten. Es entstanden mit den Monaten viele Farbfotos, die Ich anschließend mit Photoshop im Grau-Modus weiterbearbeitete. Dazu wählte ich das strenge Quadratformat und eine schwarze Umrandung, wodurch Anmutungen zum historischen 6×6 Format erzeugt werden sollte. Für die Ausstellung entstanden sowohl eine Fotoserie an der Wand von 40 Abzügen (je 30 x 30 cm) als auch ein SW-Fotobuch (im Din A4 Format) mit 66 Einzelmotiven. Das Streng-Serielle soll – ähnlich dem Landartkünstler Hamish Fulton („Walking Artist“) – den städtischen Raum sinnlich-erzählerisch erfahrbar machen.

Der Spaziergang beginnt sozusagen vorne im Photo.Kunst.Raum. am großen Fenster mit einem „Strandmotive aus Amrum“ („Der Raum ist noch weit und die Luft tut gut !“), er geht dann durch Industrie- und Stadtlandschaften. bis er am Hinterausgang mit dem „1,5 Grad Klimaziel“ sozusagen endet. Das Dazwischen erschließt sich hoffentlich von selbst !?

Die farbigen Blumenmotive entstanden in dieser Zeit fast schon beiläufig: Der jede Woche wechselnde Blumenstrauß vor unserem Esszimmerfenster wurde zum Kontrapunkt der bisher dokumentarischen Fotoarbeit – dies war nicht nur ein Perspektivwechsel sondern auch ein Wechsel der Gefühle.
Ich bearbeitete die Handyfotos ebenfalls mit Photoshop, nutzte die grelle Farbigkeit des Programms und ließ sie in Dibondtechnik (auf Aluplatten und hinter mattem Acryl) vergrößern (100 x 100 cm). Ich war erstaunt dass durch dieses Blowup-Prinzip oft wieder Ähnlichkeiten mit der Graffitimalerei und Anklänge zum Hyperrealismus bestanden ist.

Gabriele Adey, Hamburg